Prokrastination: Warum wir aufschieben und wie wir wieder ins Tun kommen
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Ausgabe 07_2025
„Ich mach das morgen.“ Dieser Satz klingt harmlos, aber ist ein Leitsatz für viele, wenn es um unangenehme Aufgaben geht. Die To-do-Liste ist voll, die Deadline rückt näher und trotzdem scrollst du durch Social Media oder vertreibst dir die Zeit mit anderen Sachen. Willkommen im Club der Prokrastinierenden. Doch Aufschieben ist kein Zeichen von Faulheit, sondern ein komplexes Zusammenspiel aus Emotionen, Motivation und Selbstregulation.
Warum prokrastinieren wir eigentlich?
Psychologische Studien zeigen, dass Prokrastination oft ein Versuch ist, unangenehme Gefühle wie Überforderung, Unsicherheit oder Angst vor Fehlern zu vermeiden. Nicht unser Verstand, sondern unser limbisches System, also das emotionale Zentrum im Gehirn, entscheidet was wir tun. Wenn eine Aufgabe Stress auslöst, wählt das Gehirn reflexartig die kurzfristige Erleichterung. Der Grund dafür ist, dass das Belohnungssystem schneller auf Ablenkung (z. B. Netflix) anspringt, als auf die Aussicht langfristiger Zielerreichung.
Das Resultat ist schlechtere Leistung, Zeitdruck und Schuldgefühle, also ein Teufelskreis, der bis zu 20 % der Erwerbstätigen chronisch betrifft. Auch eine Studie der Universität Münster zeigt, dass sogar 95 % der Studierenden regelmäßig prokrastinieren.
Warum Organisationen Prokrastination (unbewusst) fördern
Die Deloitte-Studie 2024 ermittelt, dass Befragte vor allem Aufgaben bei unklaren Rollen, hoher Überforderung und mangelndem Feedback aufschieben.
Prokrastination ist daher nicht nur ein individuelles Thema, sondern auch ein organisationales Symptom.
Fehlende Klarheit, wie vage Aufgabenbeschreibungen („Mach mal …“) fördern das Aufschieben.
Dauerstress und Überlastung, also wer ständig im Stressmodus arbeitet, hat kaum mentale Kapazität für fokussiertes Handeln.
Fehlende Priorisierungskultur, die bedeutet, dass alles wichtig ist, aber nichts wirklich dringend.
Was Unternehmen tun können
1. Kulturwandel unterstützen
Fehlerfreundlichkeit und transparente Kommunikation fördern produktives Arbeitsverhalten.
2. Ziele und Rollen klar definieren
Klare Erwartungen und realistische Zeitrahmen setzen.
3. Deep-Work-Zonen ermöglichen
Zeitfenster ohne Meetings oder Teams-Erreichbarkeit können fokussiertes Arbeiten erleichtern.
4. Weiterbildung in Selbstmanagement
Trainings zu Priorisierung, Fokus und Selbstregulation sind hilfreiche Instrumente.
Tipps gegen Prokrastination
1. Aufgaben in Mikro-Schritte zerlegen
Psychologischer Trick: Der Einstieg wird leichter, wenn das Ziel konkreter ist. Teile große Aufgaben in sehr kleine Schritte. Statt „Konzept schreiben“, lieber „Einleitung auf Papier skizzieren“.
2. „Timeboxing“ statt offene Zeiträume
Plane dir fixe 25- bis 50-Minuten-Blöcke Fokusarbeit mit Pausen (z. B. Pomodoro-Technik). Unserem Gehirn helfen strukturierte Rhythmen und die Aufmerksamkeit wird gezielt trainiert.
3. Sofort handeln und nicht erst auf Motivation warten
Nicht Motivation führt zu Handlung, sondern Handlung erzeugt Motivation. Fang einfach an, auch wenn du dich nicht „bereit“ fühlst.
4. Emotions-Check statt Ignorieren
Frage dich: Was genau macht diese Aufgabe unangenehm? Selbstempathie hilft, emotionale Barrieren zu erkennen und zu überwinden. Oft helfen kleine Routinen (Tee kochen, Musik, Atemübungen), um Hürden zu senken.
5. Öffentliche Commitments setzen
Teile dein Vorhaben mit Kolleg:innen oder trage es sichtbar im Kalender ein. So entsteht positive soziale Verbindlichkeit.
6. „Done List“ statt „To-do List“
Feiere Erfolge bewusst. Das aktiviert das Belohnungssystem und reduziert Selbstkritik.
Fazit: Prokrastination ist keine Schwäche, sondern ein Signal.
Ein Signal für emotionale Überforderung, fehlende Struktur oder kulturelle Hindernisse. Der Schlüssel liegt in einer Kombination aus Selbstmanagement, struktureller Klarheit und psychologischer Sicherheit. Wer versteht, warum er prokrastiniert, kann gezielt dagegenwirken, individuell und im Team.
Quellen:
Deci, E. & Ryan, R. (2002). Self-Determination Theory. Guilford Press.
Deloitte (2024). Workplace Mental Health Report.
Ferrari, J. R. (2010). Still Procrastinating? The No Regrets Guide to Getting It Done. Wiley.
Sirois, F. M. & Pychyl, T. A. (2016). Procrastination, Health, and Well-Being. Elsevier.
Sonnentag, S. et al. (2022). Recovery experiences and health outcomes. Journal of Occupational Health Psychology.
Steel, P. (2007). The nature of procrastination. Psychological Bulletin, 133(1), 65–94.
WEF (2025). Future of Jobs Report 2025.
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