Chancengerechtigkeit im Arbeitsleben: Welche Faktoren entscheidend sind
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Ausgabe 10_2025
„Sag mir, woher du kommst und ich sag dir wohin du gehst.“ Soziale Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt hat viele Gesichter. Ob wir es wollen oder nicht, unsere soziale Herkunft, unser Geschlecht, ein Migrationshintergrund oder unsere Religion sind immer noch ein ausschlaggebender Faktor für unseren beruflichen Erfolg.
Doch was bedeutet das konkret? Ein Blick auf aktuelle Zahlen zeigt, wie stark unsere Chancen noch immer von äußeren Faktoren abhängen.
Auswirkungen auf unsere Karrierechancen
- Geschlecht: Frauen verdienen in Deutschland nach wie vor weniger als Männer. 2024 lag der unbereinigte Gender Pay Gap bei 16 %, bereinigt bei 6 % (Statistisches Bundesamt, 2025). 
- Migration: Rund ein Viertel der Bevölkerung hat eine Einwanderungsgeschichte, doch Menschen mit Migrationshintergrund sind überdurchschnittlich oft in befristeten oder niedrig entlohnten Jobs beschäftigt (Destatis, 2025). 
- Religion: Bewerberinnen, die ein Kopftuch tragen, werden messbar seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen (DeZIM, 2020). Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtet zudem über steigende Beratungsanfragen wegen religiöser Diskriminierung am Arbeitsplatz (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2024). 
- Regionale Herkunft: Auch innerhalb Deutschlands gibt es Unterschiede. Ostdeutsche stellen rund 20 % der Bevölkerung, besetzen aber nur etwa 12 % der Führungspositionen (Elitenmonitor, 2025). Die Chancen hängen also nicht nur von Bildung, sondern auch von Postleitzahlen ab. 
- Soziale Herkunft: Laut einer Untersuchung von Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) haben Kinder aus Akademiker-Haushalten eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, ein Studium aufzunehmen als Kinder nicht-akademischer Herkunft. 
Diese Zahlen verdeutlichen, dass wir die Redewendung „Wer will, der kann“ überdenken sollten und dass Aufstiegschancen nicht nur von Leistung abhängen. Strukturen in der Gesellschaft und in Organisationen entscheiden mit.
Darüber hinaus beginnt Chancenungleichheit lange bevor wir unseren ersten Arbeitsvertrag unterschreiben. Wer in einem Umfeld aufwächst, in dem Bildung, Bücher und Netzwerke selbstverständlich sind, startet mit einem Vorsprung, der sich über Jahre aufsummiert. Wie eben bereits angeklungen, Kinder aus Akademikerfamilien beginnen deutlich häufiger ein Studium als Kinder ohne akademischen Hintergrund (78 von 100 im Vergleich zu 25 von 100 (DZHW, 2024)). Am Ende entscheidet also oft nicht Talent allein, sondern vor allem die Startbedingungen.
Die Rolle von Arbeitgebern
Auch wenn soziale Ungleichheit ihren Ursprung außerhalb des Unternehmens hat, können Arbeitgeber dazu beitragen, dass jene sich im Arbeitsleben nicht weiter verfestigt. Oft setzt sie sich jedoch genau hier fort, durch unbewusste Auswahlmuster, informelle Beförderungen oder Netzwerke, die sich ähneln.
Studien zeigen, dass die Förderung von Heterogenität und Diversität in Unternehmen nicht nur allein für mehr Gerechtigkeit sorgen, sondern Teams mit unterschiedlichen Hintergründen sogar mehr Perspektiven und Ideen einbringen. Eine umfassende Meta-Analyse von Wallrich et al. (2024), die mehr als 600 Einzelstudien auswertet, belegt einen kleinen, aber konsistent positiven Zusammenhang zwischen Diversität und Teamleistung. Dabei ist es wichtig, dass Unternehmen eine offene Kultur und faire Prozesse schaffen.
Anders gesagt, Diversität allein reicht nicht. Erst wenn Mitarbeitende sich sicher fühlen, ihre Meinung zu sagen und Fehler machen dürfen, entfaltet Unterschiedlichkeit ihren Wert.
Tipps für Unternehmen
1. Faire Einstiege schaffen
Schon der erste Kontakt zählt. Anonymisierte Bewerbungen, klare Auswahlkriterien und strukturierte Interviews reduzieren unbewusste Vorurteile. Besonders hilfreich sind Programme für Erstakademiker:innen, wie z. B. Traineeangebote mit Reisekosten- oder Technikzuschüssen, damit finanzielle Hürden nicht zum Karrierehindernis werden.
2. Transparenz und klare Regeln
Gehaltsspannen in Stellenanzeigen, regelmäßige Pay-Audits und nachvollziehbare Beförderungskriterien sind einfache, aber wirksame Hebel, um Vertrauen zu schaffen. Führungskräfte sollten Entscheidungen dokumentieren und sichtbar machen, nach welchen Kriterien sie getroffen wurden.
3. Aufstieg mit Mentoring ermöglichen
Mentoring ist eines der stärksten Instrumente, um Chancengleichheit im Unternehmen spürbar zu fördern. Studien zeigen, dass Mitarbeitende mit Mentor:innen deutlich bessere Karrierechancen haben. Rund 75 % der Führungskräfte geben an, dass Mentoring ihre Karriere entscheidend geprägt hat (Gross, 2023 / Harvard Business Review).
Daten des Mentoring-Anbieters MentorcliQ belegen, dass US-Fortune-500-Unternehmen mit formellen Mentoringprogrammen im Median mehr als doppelt so hohe Gewinne erzielen wie Unternehmen ohne solche Programme. Der Grund dafür ist, dass Mentoring Bindung stärkt, Wissenstransfer fördert und Sichtbarkeit schafft.
4. Zusammenarbeit inklusiv gestalten
Inklusive Teams entstehen nicht zufällig. Sie brauchen klare Spielregeln, beispielsweise bei Meetingstrukturen, Entscheidungsprozessen und Redeanteilen. Ein wichtiger Faktor ist dabei die psychologische Sicherheit, also die Überzeugung, offen Fragen zu stellen, Bedenken zu äußern, Fehler zuzugeben oder eine andere Meinung vertreten zu können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Diese lässt sich messen, etwa durch kurze Pulsbefragungen. Wer dies bewusst gestaltet und nachsteuert, stärkt Kreativität und Innovationskraft.
5. Daten nutzen, um Fairness sichtbar zu machen
Was man misst, kann man verändern. Ein internes Equity-Dashboard kann zeigen, wer sich wo bewirbt, eingestellt oder befördert wird. Wenn Unternehmen erkennen, wo Chancen abreißen, können sie gezielt handeln.
Warum sich das lohnt?
Chancengerechtigkeit ist kein „Nice-to-have“. Sie entscheidet, ob Unternehmen Talente gewinnen und halten, die sonst vielleicht gar nicht in Betracht gezogen werden. Sie stärkt die Motivation, das Vertrauen und die Innovationskraft, wodurch letztendlich Organisationen langfristig resilienter sind.
Fazit: Gleiche Chancen entstehen dort, wo Unternehmen Verantwortung übernehmen.
Verantwortung also nicht nur für ihre Produkte, sondern auch für ihre Strukturen. Wer Fairness messbar macht, Karrieren transparent gestaltet und unterschiedliche Lebenswege wertschätzt, entdeckt Potenziale, die sonst verborgen bleiben.
Quellen:
- Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2013). Für Chancengleichheit im Bildungsbereich und im Arbeitsleben. Berlin. 
- Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2024). „Bewerberin klagt erfolgreich* gegen Diskriminierung wegen ihres Kopftuchs.“ Pressemitteilung, 27.02.2024, Berlin. 
- Beicht, U., & Walden, G. (2019). Der Einfluss von Migrationshintergrund, sozialer Herkunft und Geschlecht auf den Übergang nicht studienberechtigter Schulabgänger/-innen in eine berufliche Ausbildung. Bonn: BIBB (Bundesinstitut für Berufsbildung). 
- Bericht der Ostbeauftragten der Bundesregierung (2025). 35 Jahre: Aufgewachsen in Einheit?. Berlin: Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland. 
- Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (2023). „Soziale Herkunft und Bildung.“ In: Informationen zur politischen Bildung, Ausgabe 354. Bonn: bpb. 
- Deutsches Statistisches Bundesamt (Destatis) (2025). Gender Pay Gap. 
- Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) (2024). Neuer Bildungstrichter des DZHW: Aufnahme eines Hochschulstudiums hängt immer noch von der Bildungsherkunft ab. Hannover: DZHW. 
- Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (2020). NaDiRa-Kurzstudie: Mit Kopftuch auf Jobsuche. Berlin: DeZIM (Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung). 
- Gross, C. (2023). „A Better Approach to Mentorship.“ Harvard Business Review. Juni 2023. 
- Jacob, M., & Klein, M. (2019). Social origin, field of study and graduates’ career progression: Does social inequality vary across fields? The British Journal of Sociology, 70 (5). 
- McKinsey & Company (2024). Diversity Matters Even More. Global Report & European Press Release, Continental Europe, März 2024. 
- MentorcliQ (2024). 2024 Mentoring Impact Report: 98% of Fortune 500 Companies Have Mentoring. MentorcliQ Inc. 
- PLD Mentoring & Coaching Stoftware (2025). Using diversity & inclusion mentoring for better business results. Blogbeitrag. 
- Wallrich, L., et al. (2024). The Relationship Between Team Diversity and Team Performance: Reconciling Promise and Reality Through a Comprehensive Meta-Analysis Registered Report. Journal of Business and Psychology.. 
- Wübben-Stiftung Bildung (2024). Woher und Wohin 2024 – Soziale Herkunft und Bildungserfolg – Zentrale Ergebnisse der Schulleitungsstudien. Frankfurt/M.: Wübben-Stiftung. 
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